Wenn ich kleine Kinder beobachte, so sind sie alle in
einem gewissen Sinn ähnlich: Sie lachen, spielen, freuen sich, und manchmal
weinen sie auch. Sie sind recht egoistisch, und müssen z.B. noch lernen, dass
man nur spielen kann, wenn Andere den Ball auch einmal erhalten.
In einem Altersheim sieht das Bild schon anders aus: Da gibt es die
verbitterten, griesgrämigen Männer und Frauen, die von Leid und
Ungerechtigkeit im Leben gezeichnet sind. Am liebsten weicht man solchen
Menschen aus. Daneben finden wir aber auch alte Leute, die weise, liebenswert
und zufrieden sind. Die fragt man gerne um Rat. Was ist ihr Geheimnis? Die
zweite Gruppe hatte meist auch nicht nur die Sonnenseite des Lebens gesehen,
sondern manchmal sind gerade sie durch tiefes Leid gegangen.
Offenbar bin ich während meinem Leben immer wieder
konfrontiert mit der Wahl, wie ich mit Leid, erlittener Ungerechtigkeit, Angst
und Unsicherheit umgehe. Meine Entscheidungen lassen mich dann entweder zum
griesgrämigen Greis oder zum weisen Alten werden.
Spätestens seit den
Ereignissen in Zusammenhang mit dem 11. September bis hin zum Irakkrieg haben
wir alle vermehrt Erfahrungen gesammelt mit schwierigen Lebenssituationen. Wie
kann ich mit all dem Ärger und der Angst umgehen? Wohin führt mich der Weg?
Bin ich dabei bitter zu werden?
Nun, wenn mir
dauernd die Galle aufstösst, wird das meine innere Harmonie wohl nicht gerade fördern.
Wenn ich gewissen Leuten eine gesalzene Ladung an Ungerechtigkeiten und
Verantwortungslosigkeit nachtrage, — wer trägt dann eigentlich, und wem nützt
es?
Jesus sagt uns ja schon in der Anleitung zum
Unservater: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern
Schuldigern“[1]. Ohne dass wir vergeben,
wird also auch uns nicht vergeben.
Corrie ten Boom, eine Holländerin, die im KZ
Ravensbrück ihre ganze Familie verloren hat und selbst nur knapp der Ermordung
entgangen ist, hat nach dem Zweiten Weltkrieg eine Rehabilitationsklinik für
KZ-Geschädigte geführt. Ihre Erfahrungen fasst sie trocken in einem Satz
zusammen: „Diejenigen, die dazu imstande waren, ihren früheren Feinden zu
vergeben, konnten sich ihr Leben neu aufbauen ungeachtet ihrer körperlichen
Narben. Diejenigen aber, die an ihrer Bitterkeit festhielten, blieben
Invalide.“[2]
Wieso fällt es mir dann so schwer erlittene
Ungerechtigkeit zu vergeben, wieso verbrenne ich den Schuldschein nicht gerne,
wenn er mich doch nur zugrunde richtet? Ich denke, es hat mit Egoismus und
Selbstsucht, mit einem drehen um mich selbst zu tun. Jesus sagt: „Nehmt auf
euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig;
so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.“[3]
Genau diese Ruhe suchen wir doch. Sanftmut ist
das Gegenteil von Rebellion und Rechthaberei, Demut das Gegenteil von
Stolz und Hochmut. Wenn ich von mir wegschaue, wenn ich mich nicht so wichtig
nehme, wenn ich vielleicht sogar auf Gottes Gerechtigkeit vertraue (er sagt:
„Die Rache ist mein“[4]),
statt auf mein Besserwissen, dann kann ich vergeben, dann weiss ich auch, dass
ich Vergebung von meinen Mitmenschen und von Gott brauche.
Die entscheidende
Frage ist also letztlich, wie lebe ich versöhnt, versöhnt mit mir, versöhnt
mit Mitmenschen und versöhnt mit Gott? Schwierigkeiten, erlittene
Ungerechtigkeit und Leid stellen mich immer wieder vor die Entscheidung „versöhnt“
oder „unversöhnlich“! Entweder ich wachse in diesen Situationen als
Mensch, oder ich werde mehr und mehr zum kranken Giftzwerg!
Jesus geht uns voran. Von seinem Weg können wir
lernen. Er sagt sogar: „Ich bin der Weg ...“[5]
In diesem Sinne wünsche
ich uns allen Vertrauen und Gelassenheit auch für die nächste Gewitterfront am
Horizont!
[1] Matthäus 6,12
[2] Corrie ten Boom: „Vergeben“ Seite 16, oder „Sammelband“ Seite 91, Verlag Schulthe & Gerth
[3] Matthäus 11,29
[4] Römer 12,19
[5] Johannes 14,6